Im Gedenken an Peter Krüger (1935-2011)

Peter Krüger (1935-2011)

Am 16. September 2011 ist Peter Krüger im Alter von 75 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit in Mar-burg gestorben. Der emeritierte Neuzeithistoriker, 1935 in Eisenach geboren, war einer der profilier-testen Vertreter der Geschichte der internationalen Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland. Bereits seine Dissertation, die er 1962 – im Anschluss an sein Studium der Geschichte, Germanistik, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte in Marburg und München –, bei Franz Schnabel an der Ludwig-Maximilians-Universität in München abschloss, behandelte ein entsprechendes Thema: „Die Beziehun-gen der Rheinischen Pfalz zu Westeuropa 1576-1582. Die auswärtigen Beziehungen des Pfalzgrafen Johann Casimir 1576-1582“. Dem schloss sich 1972 die Habilitation an der Albertus-Magnus-Universität zu Köln an: Für seine Habilitationsschrift zum Thema „Deutschland und die Reparationen 1918/19. Die Genesis des Reparationsproblems in Deutschland zwischen Waffenstillstand und Versailler Friedens-schluss“ profitierte Peter Krüger von seiner Editorentätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Aus-wärtigen Amtes im Rahmen der Herausgabe der „Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945“. Zugleich hatte er damit einen Gegenstand und eine Epoche gefunden, die seine Forschungsarbeit über Jahrzehnte bestimmen und seine wissenschaftliche Reputation begründen sollten: die Außenpolitik der Weimarer Republik. Ihr widmete er nach seiner Habilitation nicht nur eine Fülle von Aufsätzen in renom-mierten Fachzeitschriften, sondern 1985 auch eine umfassende Monographie – „Die Außenpolitik der Republik von Weimar“ –, die zum Standardwerk avancierte, und sie sollte ihn noch bis in seine letzte Le-bensphase beschäftigen in Form einer Edition der Schriften und einer sie begleitenden Biographie des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt der Jahre 1924 bis 1930, Carl von Schubert .

Das Besondere an Peter Krügers Darstellung der „Außenpolitik von Weimar“ war, dass sie die zentrale Bedeutung der Jahre 1924 bis 1929 und der Person des damaligen Außenministers Gustav Stresemann sowie eben die seines Staatssekretärs Carl von Schubert herausarbeitete: Mit ihnen verband sich für Peter Krüger der Wille, Deutschland wieder in das internationale System einzugliedern und das weiterhin gültige Ziel einer zumindest partiellen Revision des Versaillers Vertrags nur noch im Einvernehmen mit den Siegermächten zu erreichen. Bei dieser Hinwendung insbesondere zum Westen – gipfelnd in der Locarno-Politik von 1925 – handelte es sich für ihn um einen tiefgreifenden, durchaus ernst gemeinten – und nicht nur instrumental-taktischen – Methodenwechsel, der daher das Attribut einer spezifischen „‚ Weimarer‘ Außenpolitik“ verdiene. Damit begründete Peter Krüger seinen Ruf als dem Kenner schlechthin der deutschen Außenpolitik der Zwischenkriegszeit. Bereits 1975 war er auf einen Lehrstuhl für Neuere Geschichte an die Philipps- Universität Marburg berufen worden. 1984 erhielt er dann ein Stipendium des Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington. 1993/94 war er Forschungsstipendiat des Historischen Kollegs München. Eine ganze Reihe ehrenvoller Mitgliedschaften – etwa in der Gesellschaft für Geistesgeschichte, der Vereinigung für Verfassungsgeschichte oder dem Collegium Carolinum – kamen hinzu. Gleichzeitig wurden seine Forschungsergebnisse zur Außenpolitik der Weimarer Republik gerade auch in Frankreich intensiv rezipiert und motivierten hier eigene Studien, die belegten, wie anregend Peters Krügers Überlegungen waren. Damit wurde fernerhin einem Wissen-schaftler Anerkennung gezollt, der über die Ergebnisse seiner konkreten Forschungen hinaus die gene-relle Untersuchung der internationalen Beziehungen der Neuzeit auch methodisch befruchtete. Hiervon zeugte der vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst positiv evaluierte und finanzierte Forschungsschwerpunkt „Geschichte und Struktur internationaler Systeme“, den Peter Krüger 1989 zusammen mit einigen Marburger Kollegen begründete.

Dazu passte, dass Peter Krüger weit davon entfernt war, ein klassischer Politikhistoriker zu sein. Im Gegenteil: Bereits mit seiner Habilitationsschrift belegte er seine intime Kenntnis finanz- und wirtschafts-politischer Zusammenhänge. 1986 publizierte er dann – in geradezu idealer Ergänzung zu seinem Stan-dardwerk über die Außenpolitik der Republik von Weimar – eine konzise Darstellung der innenpo-litischen Bedingtheiten der auswärtigen Beziehungen Deutschlands in der Zwischenkriegszeit, insbeson-dere der Stresemannschen Entspannungspolitik, die, mit Ausnahme weniger günstiger Momente, auch durch die öffentliche Meinung in Deutschland und deren mehrheitliche Ablehnung von „Versailles“ an ihrer vollständigen Entfaltung gehindert worden war. Doch dem gesellten sich noch eine Vielzahl anderer wissenschaftlicher Interessen hinzu: an geistes- und ideengeschichtlichen Fragen über verfassungs-und verwaltungsgeschichtliche bis hin zu völkerrechtlichen Themen. Mit ungeheurem Fleiß, aber auch einer großen Freude an der wissenschaftlichen Arbeit stellte Peter Krüger sich immer wieder neuen wissen-schaftlichen Herausforderungen, deren Meisterung sich in gehaltvollen Aufsätzen, Monographien und Sammelbänden materialisierte. Seine breite Bildung und seine vielfältigen Interessen zeichneten ihn da-bei auch als akademischen Lehrer aus. Gleichzeitig profitierten Schüler wie Kollegen von seiner menschli-chen Anteilnahme und seiner steten Hilfsbereitschaft.

2006 legte Peter Krüger noch einmal eine große, breit angelegte Studie sui generis zur Herausbildung der Europäischen Union vor – „Das unberechenbare Europa. Epochen des Integrationsprozesses vom späten 18. Jahrhundert bis zur Europäischen Union“ –, die gewissermaßen die Frucht seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit der europäischen Geschichte der Neuzeit darstellte: Nicht nur, dass er den üblicher-weise auf die Zeit nach 1945 – also die eigentliche Gründungsphase europäischer Gemeinschaftsinsti-tutionen – beschränkten Geschichtszeitraum stark ausweitete, indem er einen Blick zurück bis weit ins 18. Jahrhundert warf, sondern er bot überdies auch keine einfache europäische Ereignis- oder Institutionengeschichte, sondern eine tief schürfende Analyse europäischer Integrationsprozesse der letzten gut 200 Jahren. Dabei sah er der Zukunft der Europäischen Union optimistisch entgegen: Zwar beklagte er, dass die Politik den bis dato zielführenden Weg einer pragmatischen sektoralen Einigung verlassen habe und mahnte zur Rückkehr zum Bewährten. Gleichzeitig aber äußerte er die Überzeugung, dass die junge Generation bereits jetzt ein „gelebtes“ Europa verkörpere und dementsprechend auch die Zukunft positiv prägen werde. In diesem wohl abgewogenen Ausblick spiegelte sich beispielhaft das Cre-do eines Mannes, der als Historiker immer akribisch arbeitete und stets kritische Distanz zum Thema wahrte, der indes als Zeitgenosse ein überzeugter Anhänger der deutsch-französischen Verständigung sowie der europäischen Einigung war und als leidenschaftlicher akademischer Lehrer der jungen Gene-ration stets zugewandt blieb und Vertrauen entgegenbrachte. Derart wird er allen, die ihn kannten, in dankbarer und ehrender Erinnerung bleiben, und ihr Mitgefühl gilt in besonderer Weise seiner Ehefrau Dr. Ingrid Krüger-Bulcke, die bis zuletzt an seiner Seite war.

Prof. Dr. Reiner Marcowitz
Université de Lorraine
Mitglied des Vorstandes desDeutsch-Französischen Historikerkomitees

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